EINSATZ UNTER PALMEN // 2007

Bahia ist ein Bundesstaat im Nordosten Brasiliens mit der Hauptstadt Salvador de Bahia. Hier haben sich die Rassen und Kulturen der einheimischen Indianer, der europäischen Entdecker und der afrikanischen Sklaven vermischt, und es entstand genau das, was Brasilien ausmacht. Ein Menschenschlag, der Musiker, Schriftsteller und Künstler hervorbrachte und, obwohl katholisch, auch noch dem mystischen Candomblé- Kult anhängt. Bahia wird wohl auch deshalb die Seele Brasiliens genannt.

Unser Einsatz für die AZB plus mit dem Dentomobil ist im Oktober 2006 im Fischerdorf Jatimane, etwa 300 km südlich von Salvador. In dieser tropischen Küstenregion leben sowohl ethnische Minderheiten wie etwa die Caboclos, ehemalige entlaufene Sklaven, die versteckt im Urwald afrikanische Dorfgemeinschaften gebildet haben, als auch einfache Fischer, die sich seit vielen Generationen die reichen Fischgründe der Barra Grande zu Nutze machen. Schon die Anfahrt dorthin ist für mich abenteuerlich. Das Dorf liegt völlig abgeschnitten vom Straßennetz direkt am Meer hinter einem Mangrovenwald, durch den nur ein Trampelpfad führt. Die einzig mögliche Zufahrt für Autos ist der 17 km lange Sandstrand, und das nur bei Ebbe, das heißt, alle 12 Stunden für jeweils eine kurze Zeit. Da sich die Tide täglich ändert muss der Abfahrtszeitpunkt jedes Mal neu berechnet werden. Auf dieser traumhaft schönen „Piste“ entlang einer nahezu unberührten Küste erreichen wir mit dem Dentomobil unseren Bestimmungsort. Wir stellten unser fahrbares Behandlungszimmer auf dem Dorfplatz im Schatten von zwei großen Bäumen auf, da es im Oktober, zu Beginn des brasilianischen Frühlings, schon sehr heiß sein kann.

Selbst größere Teams können im Dentomobil effektiv arbeiten. Im Fahrzeug selbst behandeln drei Kollegen mit Assistenz während draußen Voruntersuchungen stattfinden, „Zahnpflegekurse“ mit Kindern abgehalten und Instrumente gereinigt und im Autoklav-Dauerbetrieb sterilisiert werden.

In den letzten Jahren hat Dr. Gerd Pfeffer, zweiter Vorsitzender der AZB plus und seit Jahrzehnten in Brasilien wohnhaft, dieses faszinierende Einsatzfahrzeug ständig ausgebaut und technisch optimiert, so dass auch konservierend gearbeitet werden kann und die Zeit der Serienextraktionen vorbei ist. Aber natürlich ist immer wieder Improvisationstalent gefragt, da das tropische Klima technische Opfer fordert und der nächste Servicetechniker meist Tagesreisen entfernt lebt.

Zu unserem einwöchigen Einsatz sind dieses Mal sechs Zahnärzte aus Deutschland eingeteilt. Zwei Kollegen sind mit ihren Ehefrauen angereist, die als Helferinnen mitarbeiten. Zwei brasilianische Kollegen, Vater und Sohn, eine ausgebildete brasilianische Zahnarzthelferin und ein junger Brasilianer als Faktotum, vervollständigen die Mannschaft.

Schon am ersten Morgen versammeln sich die erwartungsvollen Patienten früh auf dem kleinen Dorfplatz. Nachdem sich unsere mobile Praxis herumgesprochen hat, landen täglich viele Boote aus den umliegenden Fischerdörfern und erreichen abends mit weniger Zähnen und mehr Füllungen wieder ihr Zuhause.

Kurz nach Arbeitsbeginn um 8.30 Uhr formieren sich lange Schlangen von Patienten aller Altersgruppen vor dem Eingang zum Dentomobil. Zur Steigerung der Effizienz wird nun immer von einem Kollegen am Anfang der Warteschlange eine Voruntersuchung mit Spiegel, Sonde und Kopflampe durchgeführt und die empfohlene Behandlung auf einem Zettel notiert – der schlichten Form der Krankenversicherungskarte. Anfänglich mit Skepsis und später mit einem Lächeln als „Praxisgebühr“ betritt der Patient unsere Behandlungsstation. Dieser Vorgang wiederholt sich dann bis zu 80 mal pro Tag und endet am frühen Abend so gegen 17.00 Uhr mit einem erschöpften aber zufriedenen Team und vielen schmerzfreien Dorfbewohnern.


Untergebracht sind wir in einem kleinen Haus, das uns komplett zur Verfügung steht. Wir Männer schlafen auf Matratzen auf dem Fußboden des Wohnzimmers, die beiden Ehepaare sowie unsere brasilianische Helferin Cleide in Schlafzimmern mit einfachen Betten. Für unser leibliches Wohl sorgen die Frauen des Dorfes. Gegen 6.00 Uhr, kurz nach Sonnenaufgang, werden wir regelmäßig durch leises Geschirr-Klappern aus der Küche geweckt; fünf „gute Feen“ sind mit der Zubereitung unseres Frühstücks beschäftigt. Die Frühaufsteher unter uns nehmen noch vor dem Frühstück ein herrliches Morgenbad im Meer, um dann frisch und munter und gut gestärkt an die Arbeit zu gehen. Unsere Hauptmahlzeit, das Mittagessen, wird auf typisch regionale Art zubereitet. Die bahianische Küche ist eine Mischung aus indianischer, portugiesischer und afrikanischer Kochkultur. Charakteristisch ist der großzügige Gebrauch von rotem Chillipfeffer und Dendé-Öl. Ein beliebtes Gericht ist die Moqueca, eine Art Eintopf aus Meeresfrüchten, Knoblauch, Zwiebeln, Paprika, Koriander und Pfeffer, alles gekocht in Kokosmilch und natürlich Dende-Öl. Dazu gibt es Reis und als Getränk die köstlichen sucos, die frisch gepressten Säfte aus den reifen Früchten der Region.
Abends versorgen wir uns selbst, oder gehen in einem der Fischlokale essen, nicht ohne uns eine Caipirinha als Aperitif – und meist auch noch eine als Digestif – zu gönnen.

Zum Abschluss der Behandlungswoche veranstalten die Dorfbewohner als Dank ein Abschiedsfest für unser Team! Bei dieser Gelegenheit überreicht uns eine kleine Patientin einen Dankesbrief mit selbst gemalten Bildern für die einfühlsame Behandlung.
Außerdem schenkt die Gemeinde von Barra de Serinhaem den „Dentistas da Alemanha“, den Zahnäzten aus Deutschland ein Grundstück, um darauf einen dauerhaften zahnärztlichen Behandlungsplatz einzurichten. Wir müssen sehen, was der Verein daraus machen kann.

Für mich bleibt es ein sehr eindrückliches Erlebnis und eine bleibende Erinnerung, mit den Kollegen der AZB in Jatimane auf dem Dentomobil als Zahnarzt mitgearbeitet zu haben.

Dr. Walter Goller, Singen, Oktober 2006